Thema

Im Fadenkreuz

Elastische Fäden, perfekter Schmelz und Umami-Tiefe: Besonders bei Käse geht´s ohne Milch einfach nicht. Denkste! Aktuell treten etliche Start-ups mithilfe von Präzisionsfermentation den Gegenbeweis an und nehmen die rein vegane Käseerzeugung ins Fadenkreuz.

Gamechanger Veganer Käse

Starköchin Nancy Silverton ist eine von ihnen. Seit 2007 betreibt sie die für ihren speziellen Sauerteig gefeierte Pizzeria Mozza in L.A., die als eine der besten im ganzen Land gilt. Schon letztes Jahr gab die Trendsetterin die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Start-up New Culture bekannt, das mit ihr gemeinsam einen veganen Mozarella entwickelte, der ihren Vorstellungen entspricht und seit heuer in ihrem Restaurant im Einsatz ist. Mit einer traditionellen Margherita und einer Caponata-Pizza mit Auberginen, Tomatenconfit, eingelegten Zwiebeln und Kapernbeeren möchte sie nun die wachsende Zielgruppe jener abholen, die sich mehr vegane Alternativen wünschen. „Wir versuchen immer, unseren Gästen entgegenzukommen, auch denen mit besonderen Ernährungsvorlieben. Allerdings haben wir nicht immer die richtige Lösung“, so Silverton. „Ich war schon immer der Meinung, dass etwas, nur weil es ein Ersatz ist, nicht weniger als spektakulär sein muss. Als ich unseren neuen veganen Mozzarella probierte, war ich von der Integrität des Produkts überrascht und hatte wirklich das Gefühl, dass es unseren Standards gerecht wurde.“ 

Der Grund dafür, dass veganer Käse heute sogar am feinen Gaumen einer internationalen Topköchin überzeugt, ist ein neues Verfahren, das sich Präzisionsfermentation nennt. Dafür werden Mikroorganismen, die auch für natürliche Fermentationsprozesse verantwortlich sind, so umprogrammiert, dass sie beliebig komplexe organische Moleküle in großen Mengen herstellen können. Meist geschieht das in riesigen Fermentationstanks, in denen die Temperatur, der Sauerstoff- und Nährstoffgehalt sowie viele weitere Parameter sehr genau gesteuert werden können. Für die Käseproduktion wird auf diese Art Kasein hergestellt. Denn genau dieses Protein, das normalerweise nur in Kuhmilch vorkommt, ist für alle Eigenschaften verantwortlich, die Käse für uns zu einem herrlichen Geschmackserlebnis machen. Deshalb verhält sich der mit Hilfe von Präzisionsfermentation hergestellte Käse auch so wie herkömmlicher und zieht Fäden, wenn er erwärmt wird. Einziger Nachteil: Wer Milch nicht gut verträgt, wird die dafür typischen Symptome auch bei diesem mit Kasein hergestellten veganen Käse spüren.

„KÄSE AUS BIOIDENTISCHEN PROTEINEN IST BEI GESCHMACK UND TEXTUR NICHT VON TIERISCHEM ZU UNTERSCHEIDEN.“ (VICTORIA REINSCH, DIRECTOR MARKETING, FORMO, BERLIN)

Immer mehr Start-ups

Dass die Technologie kurz vor der Marktreife steht, beweist, dass es auch hierzulande immer mehr junge Start-ups gibt, die sich damit auseinandersetzen. Formo aus Berlin etwa, ein Unternehmen, das derzeit noch die sogenannte Mikrofermentation nutzt, um Käse ohne Kuhmilch herzustellen. „Mikrofermentation klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz simpel: Wir füttern Mikroorganismen, in unserem Fall Koji-Kulturen, mit wertvollen Nährstoffen, damit sie Proteine produzieren“, erklärt Victoria Reinsch, Director Marketing bei Formo. „Nach der Fermentation trennen wir diese Proteine schonend ab und verwenden sie als Basis für unsere tierfreien Käsealternativen. Das Beste daran? Wir arbeiten mit natürlichen Mikroorganismen, die seit Jahrhunderten in Lebensmitteln genutzt werden. So können wir Käsealternativen anbieten, deren Geschmack und Konsistenz echtem Käse unglaublich nahekommen.“ 

Doch auch Formo möchte bald auf die viel effizientere Präzisionsfermentation umsteigen – die nächste Evolutionsstufe der Fermentationstechnologie, wie Victoria Reinsch meint. „Mikroben werden gezielt darauf programmiert, Zielzutaten wie z.B. Milcheiweiße herzustellen, die man sonst ausschließlich durch Kuhmilch gewinnen kann. Das Gen, das für die Milchproduktion bei der Kuh zuständig ist, wird isoliert und in die Mikroben eingebracht. Diese produzieren dann das gleiche Protein, das in herkömmlichem Käse steckt – nur ohne Kühe.“ 

Doch dieses Verfahren erfordert in der EU eine Novel-Food-Zulassung und die lässt auf sich warten. „Ein Prozess, der ziemlich zeitaufwändig sein kann“, so Reinsch „Deshalb setzen wir zunächst auf Koji-Protein als Basis. In Zukunft wird uns Präzisionsfermentation jedoch die Möglichkeit geben, Käse aus bio-
identischen Proteinen herzustellen, der geschmacklich und in der Textur nicht von tierischem Käse zu unterscheiden ist.“ Wer jetzt die Nase rümpft, muss wissen, dass 80 % des Labs für die reguläre Käseproduktion heute ähnlich hergestellt werden.

Die Formo-Proteine werden derzeit in Frankfurt am Main in Pulverform produziert und dann in Berlin zu Käse verarbeitet. Prinzipiell kann damit jede erdenkliche Art von Käse erzeugt werden. Doch starten möchte man mit Vertrautem.  „Wir denken, dass der Umstieg auf eine tierfreie Alternative viel leichter fällt, wenn das Produkt vertraut schmeckt und sich genauso verwenden lässt wie gewohnt.“ Zum Formo-Käse-Portfolio zählen bislang Feta, Frischkäse, Blauschimmel- und Weißschimmelkäse, die laut Marketingexpertin allesamt vom Original nicht zu unterscheiden sein sollen: „Wir haben bereits mehrere Konsumentenstudien durchgeführt, bei denen unsere Produkte mit traditionellen Käsesorten verglichen wurden. Die Mehrheit der Teilnehmer konnte nicht eindeutig feststellen, welcher Käse tierfrei ist und welcher aus Kuhmilch hergestellt wurde“, so Victoria Reinsch stolz. 

 

Zahllose Möglichkeiten

Und natürlich hat sie auch gleich ein paar Tipps für Köche parat. Ihre Camembert-Alternative Camembritz empfiehlt sie ganz klassisch in Kombination mit Crackern, salzigen Nüssen, würzigen Oliven oder getrockneten Früchten. Er könne dank Kasein aber auch im Ofen hervorragend mit Kartoffeln brutzeln oder eine Quiche verfeinern. Auch die Schafskäse-Alternative könnten Köche ohne Bedenken in den Ofen schieben oder als Topping für Suppen, Bowls oder Pasta verwenden. 

Das derzeitige Vorzeigeprodukt im Formo-Portfolio ist allerdings der Frischkäse, der dank seiner Konsistenz auch für vegane Saucen, als Füllung in Quiches oder im klassischen Käsekuchen verwendet werden kann – eine echte Geheimwaffe für Köche also. „Geschmacklich überzeugt er mit einer leichten Säure, mild-süßlichen Noten und einem angenehm milchig-fermentierten Aroma, während seine elfenbeinfarbene Optik an klassischen Frischkäse erinnert“, preist Reinsch ihr Produkt. Auf der Formo-Webseite gibt es noch viele weitere Gerichtideen. Den Blauschimmelkäse Frankoforte auf beschwipster Birne etwa. Dafür wird eine geschälte, entkernte Birne in einem Rotwein-Zimt-Thymian-Sud etwa 20 Minuten lang poschiert. Der Sud wird im Anschluss zu einer sirupartigen Sauce reduziert. Walnüsse mit Zucker karamellisieren und die Nüsse mit gekrümeltem Frankoforte auf die poschierte Birne verteilen. Die perfekte Mischung aus süßen, würzigen und leicht beschwipsten Aromen. 

„BLOSS WEIL ES ANFANGS EIN ERSATZ WAR, DARF EIN PRODUKT FÜR UNS NICHT WENIGER SPEKTAKULÄR SEIN.“ (NANCY SILVERTON, BETREIBERIN, PIZZERIA MOZZA, LOS ANGELES)

Geschmacksfrage

So eingesetzt könnte veganer Käse in den nächsten Jahren zu einem Gamechanger in der Gastrobranche werden. Das legen auch die diesjährigen amerikanischen Good Food Awards nahe. Im Käsewettbewerb schaffte es ein veganer Blauschimmelkäse bei der Blindverkostung ins Finale. Der Käse der amerikanischen Firma Climax Foods wird unter anderem im New Yorker Gourmetrestaurant Eleven Madison Park serviert und sollte sogar mit dem Sieger-Award ausgezeichnet werden. Das Unternehmen sei bereits darüber informiert worden, so berichtete die Washington Post. 

Doch Zeit zum Jubeln blieb den Machern keine: Bevor es so weit kommen konnte, verschwand der Blauschimmelkäse wieder von der Liste der Finalisten. Climax-CEO Oliver Zahn erklärt sich das Vorgehen mit steigendem Druck vonseiten der Milch- und Käseindustrie. „Vielleicht besteht da die Angst, dass wir sie ersetzen wollen, aber ich sehe das nicht so – ich möchte nur, dass wir alle gemeinsam auf das Bessere hinarbeiten“, sagt er und rät den Käse einfach einmal selbst zu kosten und sich vom Geschmack überzeugen zu lassen. Denn die wichtigste Frage ist doch: „Schmeckt es?“

So ein Käse!

FRISCH HAT SICH EINIGE MÖGLICHKEITEN ZEIGEN LASSEN, WIE SICH VEGANER KÄSE IN DER KÜCHE AM BESTEN EINSETZEN LÄSST.

DER ALLROUNDER 

FRISCHKÄSE 

GESCHMACK & TEXTUR Auch mit veganem Frischkäse gelingt die perfekte Balance zwischen süß und sauer. Er ist außerdem herrlich cremig und elfenbeinweiß. 

REZEPTIDEE Wer rote Zwiebeln und Schnittlauch in veganer Butter glasig werden lässt und dann veganen Frischkäse und Kartoffeln dazugibt, wird mit einer genialen veganen Füllung für klassische Pierogi belohnt. 

VERARBEITUNG In cremigen Saucen, aufgeschlagen für Torten und Kuchen, als Füllung oder als Aufstrich 

 

DER SOMMERLICHE 

FETA 

GESCHMACK & TEXTUR Die Schafskäse-Alternative hat die milde Salzigkeit, die auch das Original zum Gästeliebling macht. Eine Besonderheit ist, dass der Käse zudem schön krümelt. 

REZEPTIDEE 20 Minuten bei 180 Grad im Ofen und aus Käse, Thymian, Rosmarin, Nüssen, Zitronensaft, Olivenöl und Ahornsirup wird in der Pfanne ein veganes Gedicht. 

VERARBEITUNG In Suppen, Bowls und Pasta. Außerdem perfekt für alle Ofengerichte geeignet. 

FORMO; NEW CULTURE; SHUTTERSTOCK

 

DER ELASTISCHE 

MOZZARELLA 

GESCHMACK & TEXTUR Mit Präzisionsfermentation hergestellter Mozzarella überzeugt vor allem durch die herrlich langen Fäden, die er beim Erhitzen zieht. 

REZEPTIDEE Auch im Original dient der Käse eher als Bühne für die anderen Zutaten. Eine perfekte vegane Pizza ist deshalb die Caponata mit Auberginen, Tomatenconfit, eingelegten Zwiebeln und Kapern. 

VERARBEITUNG Natürlich roh, beispielsweise mit Tomaten, aber auch in geschichteten Aufläufen oder als perfekt schmelzender Belag. 

 

DER KRÄFTIGE 

BLAUSCHIMMEL 

GESCHMACK & TEXTUR Die kräftige Blauschimmelnote lässt schnell vergessen, dass ein veganer Käse am Teller liegt. Dank Kasein passt beim Erhitzen auch die Konsistenz perfekt. 

REZEPTIDEE Gnocchi mit Gorgonzola sind ein Klassiker der italienischen Küche. Dank der starken Aromen des veganen Blauschimmels wird kaum ein Gast den Unterschied zum Original merken. 

VERARBEITUNG In kräftigen Saucen oder roh aufs Brot, natürlich auch zu Birnen, Walnüssen oder unter die Pasta gehoben. 

Interview

„Wir möchten alle begeistern, die Geschmack schätzen.“

Victoria Reinsch von Formo erklärt die Unterschiede von veganem zu Kuhmilchkäse und warum sie möglichst viele Menschen von veganen Alternativen überzeugen möchte.

Warum setzt Formo bei seinen Produkten derzeit noch auf Mikrofermentation? 

Wir arbeiten mit natürlichen Mikroorganismen, die seit Jahrhunderten in Lebensmitteln genutzt werden. So können wir Käsealternativen anbieten, deren Geschmack und Konsistenz echtem Käse unglaublich nahe kommen. Präzisionsfermentation hingegen ist die nächste Evolutionsstufe der Fermentationstechnologie, bei der Mikroben gezielt darauf programmiert werden, Zielzutaten wie z.B. Milcheiweiße herzustellen, die man sonst ausschließlich durch Kuhmilch gewinnen kann. Da Präzisionsfermentation eine Novel-Food-Zulassung erfordert – ein Prozess, der ziemlich zeitaufwändig sein kann, verwenden wir diese Proteine derzeit noch nicht in unseren Produkten.

Welcher ist derzeit Ihr Lieblingskäse?

Unser Frischhain ist eine köstliche Frischkäse-Alternative mit cremiger, streichzarter Konsistenz. Geschmacklich überzeugt er mit einer leichten Säure, mild-süßlichen Noten und einem angenehm milchig-fermentierten Aroma, während seine elfenbeinfarbene Optik an klassischen Frischkäse erinnert.

Geht es immer darum, bekannte Sorten zu imitieren?

Die ersten Produkte sollen den Konsumenten vertraut sein. Gleichzeitig tüfteln wir aber auch an neuen Kreationen, um auch in Zukunft Konsumenten zu überraschen, die unsere Produkte bereits kennen. Dabei kombinieren wir oft bekannte Elemente auf neue, innovative Weise, die es so noch nicht gibt.

Welche Unterschiede gibt es zwischen veganem und herkömmlichem Käse?

Unsere tierfreien Käseprodukte kommen dem tierischen Käse verblüffend nahe und überzeugen mit derselben Vielseitigkeit in der Küche. Ein paar Unterschiede gibt es aber doch. So hat unser Käse eine sanft elfenbeinfarbene Nuance anstelle des klassischen Milchweiß. Und auch beim Schmelzen gibt es eine kleine Besonderheit – unser Käse zerläuft nicht ganz so stark, behält aber eine wunderbar cremige Konsistenz. Diese Unterschiede beeinflussen jedoch weder den vollen Geschmack noch die Qualität!

Glauben Sie, dass veganer Käse den aus Kuhmilch je ersetzen wird?

Unsere Mission ist es, nicht nur Veganer zu begeistern, sondern alle, die auf guten Geschmack Wert legen. Wir möchten den Menschen eine Möglichkeit bieten, ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, ohne dabei auf den geliebten Geschmack verzichten zu müssen. Langfristig möchten wir den Bedarf an Milch und Milchprodukten verringern. Dabei ist es uns jedoch wichtig zu betonen, dass innovative Unternehmen wie Formo und traditionelle Landwirte durchaus koexistieren können. Wir streben eine gerechte und faire Zukunft des Lebensmittelsystems an, die planetare Grenzen respektiert und gleichzeitig alle Beteiligten.

Victoria Reinsch

Die Marketingspezialistin mit großer Erfahrung im Lebensmittelsektor ist seit 2023 Marketingdirektorin bei Forno und versucht mit dem Berliner Start-up unter anderem die Essgewohnheiten von Käseliebhabern in Europa so zu beeinflussen, dass weniger Massentierhaltung nötig ist. 

 

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